Gea Runte | Gedichte & Geschichten

Gea Runte

geb. 1940 in Arnsberg Westf., verheiratet, zwei Kinder, jetzt wohnh. in Rhede, Kreis Borken.

Schon als Schülerin hat sie gerne Geschichten erdacht und geschrieben und Gedichte verfasst. Seit ungefähr vierzig Jahren ist Schreiben für sie mehr als ein Hobby, eher eine durch Umstände verhinderte Hauptbeschäftigung. Mittlerweile sind in vielen Anthologien Gedichte, Kurzprosa und auch Märchen für Erwachsene von ihr erschienen. Sie thematisiert darin die Schönheit und Verletzlichkeit der Natur und aktuelle globale Probleme wie zum Beispiel die Trennung des modernen Menschen von der Natur.

Hurrikan

Ich bin
die aufsteigende
Wut
mein Auge ist unbestechlich

ich sehe
die missachteten Gaben
die geraubten Schätze
die missbrauchten Kostbarkeiten

ich vernichte
eure nichtigen Wichtigkeiten
und spiele
mit dem was ihr nicht als wichtig erkennt

ich bin
das Auge
des Gesetzes
der Natur


Gea Runte 9/17

Erde an Mensch: Mayday-mayday

Und wieder
streift sie
schwermütig lächelnd
das Festkleid über
von schimmerndem Smaragd
verbirgt darunter
die blutenden Wunden
die schlecht verheilten Narben
verhüllt sie
mit zartfarbigen Schleiern
seufzend
schmückt sie
die müden Glieder
mit duftenden Blüten
die Schmach
zu vergessen
die er immer wieder
ihr antat
und wirbt
noch einmal
mit all ihrer Schönheit
um seine Liebe.


Gea Runte 1984

Kokon

Einen Kokon aus Worten
spinne ich mir:
meine Seide
reine Worte
Schutz für mich
Geschenk für euch
die meine Fäden
weiterspinnen.


Gea Runte 1992

Haiku

Blattgold auf dem Weg
über mir Feuerfarben
Schönheit stirbt Herbsttod

Der tanzende Baum

Die uralte prächtige Linde stand schon seit Jahrhunderten auf der Wiese neben dem alten Bauernhaus. Jahr um Jahr wuchs sie in die Höhe und Breite, ihre Krone wurde dichter, der Stamm dicker, die Wurzeln stärker. Viele Generationen von Kindern hatten in ihrem Schatten gespielt.

Jetzt lebte ein einsamer Witwer mit seiner einzigen Tochter, Tilia genannt, in dem verfallenden Haus. Das fünfzehnjährige Mädchen versuchte so gut es eben ging die vor Jahren verstorbene Hausfrau zu ersetzen. Der schweigsame, verbitterte Bauer aber hatte keine Hilfe auf dem Feld. So war es langsam bergab gegangen mit dem einstigen Wohlstand.

Tilias einziger Freund war der starke schöne Baum. Sie liebte ihn über alles. Nach getaner Arbeit saß sie oft im Schatten der Krone, um sich auszuruhen. Wenn sie tagsüber keine Zeit hatte, schlich sie nachts aus dem Haus, lehnte sich an den mächtigen Stamm und träumte.
Dann raschelten die Blätter im sanften Wind und erzählten ihr von den Vögeln, die auf den Zweigen schliefen, welche Raupen mit leisem Knistern auch in der Nacht an den Blättern nagten, wo das Eichhorn übernachtete und wo die Eule saß und auf die Maus lauerte, wenn sie sich aus ihrem Bau zwischen den Wurzeln heraus wagte.
Wenn der Wind stärker wehte, blitzte oft ein Stern durch das bewegte dichte Blätterdach. Und manchmal hockte auch der Mond in einer Astgabel.
Im Winter aber hing der Sternenhimmel wie ein glänzender Schleier in dem schwarzen Geäst. Wenn nun noch ein feiner Nebel aus der Wiese hochstieg, war der Baum wie verzaubert. Und Tilia wagte es dann nicht, sich ihm zu nähern, sondern betrachtete seine Schönheit gebannt aus einiger Entfernung.
In einer solchen Vollmondnacht im späten Herbst spürte sie, dass der Baum sie zu sich rief. Sie ging zu ihm und schmiegte sich an seinen Stamm. „Wir gehören zusammen“, flüsterte die Linde. Und Tilia antwortete: „Ja, wir gehören zusammen.

Als die kalten Winterstürme aufhörten und der Frühling schon in der Luft lag, erwachte auch der Baum zu neuem Leben.
Tilia spürte, wie der Saft aus der Erde in den Stamm stieg. Die Wurzeln in der Erde sogen und schmatzten. Ein feines Raunen zog bis in die letzten Zweige und Ästchen. Jeden Tag wurden die Knospen dicker, bis sie sich leise knisternd entfalteten. Und endlich breitete sich eine üppige Laubkrone aus, größer und höher als im Jahr davor.

Im Haus und auf dem Feld aber wendete sich alles zum Schlechteren. Der Bauer hatte Schulden, die Gläubiger drängten auf Rückzahlung.
Eines Tages stand ein fremder Mann in der Diele und redete laut auf den Vater ein. Tilia, die in der Küche arbeitete, hörte ihn sagen, dass er die Linde fällen solle; das Holz bringe gerade soviel, um die Schulden zu tilgen. Das gefiel nicht einmal dem Bauern. Aber was hätte er sonst zu bieten? Sie kamen schließlich überein, dass die Linde zum Ende des Jahres gefällt und das Holz verkauft werden solle.
Niedergeschlagen schlich Tilia in der Nacht zu ihrem Baum. „Hilf mir,“ flehte sie. „Was kann ich tun? Wie kann ich dich beschützen?“ „Noch haben wir Zeit,“ flüsterten die Blätter, „kommt Zeit, kommt Rat!“
Täglich besuchte das Mädchen die Linde, oft auch in der Nacht. Sie saß dann im Gras und grübelte, bis sie vor Müdigkeit einschlief.
In einer hellen Vollmondnacht im späten Herbst träumte sie, dass sie tanzend um den Baum wirbelte. Die Zweige wogten und winkten und streckten sich ihr wie Arme entgegen. Die letzten noch verbliebenen Blätter lösten sich und tanzten mit ihr im Nebel, bis sie zu Boden sanken. Tilia aber wirbelte weiter vom Wind getrieben durch Nebelfetzen und Mondglanz. Als sie erwachte, lehnte sie am breiten Stamm der Linde.
Am nächsten Morgen stand der fremde Mann wieder im Türrahmen und verkündete dem Vater: “Morgen kommen wir, um den Baum zu fällen!“
„Nein,“ rief Tilia und kam aus der Küche gelaufen. „Das geht nicht!“
„Und warum nicht?“ wollte der Mann wissen. Und Tilia rief in ihrer Not: „Es ist ein ganz besonderer Baum, er kann tanzen!
„So so, er kann tanzen!“ sagte der Fremde spöttisch. „Das möchte ich doch mal sehen! Wenn es hoch kommt, wird aus seinen Brettern ein guter Tanzboden. Und ihr habt dann keine Schulden mehr.“
Damit ging er fort.
Aber die Worte des jungen Mädchens ließen ihm keine Ruhe. Er war neugierig geworden. In der Nacht ging er zu der Linde. Was er sah, verwunderte ihn sehr, doch er verstand nichts.
Der Himmel war zuerst dunkel, die Wolken hingen tief herab. Nur ab und zu, wenn der Wind sie wegschob, fiel der Glanz des Mondes auf den kahlen Baum und auf die zarte weiße Gestalt, die sich an seinen mächtigen Stamm lehnte.
Da erhob sich ein starker Wind, der die Wolken verjagte. Und in den schwankenden Zweigen brauste es wie Orgelmusik. Mond und Sterne überfluteten den Baum und die Wiese mit himmlischem Glanz. Tilia löste sich vom Stamm und tanzte leicht wie eine Feder um die Linde. Alle Sorgen waren wie die dunklen Wolken verflogen. Sie war eins mit sich und dem Baum, ja, mit der ganzen Welt und tanzte voll Freude in dem Bewusstsein, es gelte ihr eigenes Leben zu retten.
Mit schnellen Bewegungen woben ihre Arme ein schützendes Netz um den Baum und stampfte mit ihren Füßen den unteren Rand tief in den Erdboden. Dann pflückte sie Sterne vom Himmel und setzte sie in das zarte Gewebe.
Und Tilia tanzte, bis sie atemlos und erschöpft niedersank.
Der heimliche Beobachter stand verwundert da. Er spürte, dass hier etwas Geheimnisvolles und Wunderbares geschah. Verwirrt und beschämt schlich er davon. So sah er nicht, was dann geschah.
Als Tilia sich nämlich müde an den Baumstamm lehnte und die Beine ausstreckte, stieß ihr Fuß an etwas Hartes. Zwischen den starken Wurzeln der Linde ragte eine metallene Ecke aus dem Boden. Tilia grub mit ihren Händen ein Kästchen aus der Erde, das bis zum Rand mit Goldmünzen gefüllt war. Die hatte wohl einer ihrer Vorfahren unter dem Baum vergraben, und die dicker werdenden Wurzeln hatten den Schatz mit der Zeit wieder ans Licht gebracht.
Überglücklich schickte Tilia ein inniges Dankeschön in den Sternenhimmel.

Märchen von Gea Runte 2018

Veröffentlichungen

1985

"Funkenflug" - lyrische Texte

Selbstverlag

2006

"Frauen von Heute in Märchen von Gestern"
Märchen und Gedichte von Gea Runte
Illustration: Petra Viefhus
Layout: Marion Vrenegor
Druck: Stadt Gescher

Herausgegeben von Giselheid Lönker-Rduch,
Gleichstellungsbeauftragte der Städte Stadtlohn und Gescher

2006

Lyrikpreis Bad Zwischenahn
"Wenn Denken und Fühlen" in "Poesie im Wind"

Weitere Gedichte und Erzählungen sind in verschiedenen Anthologien erschienen, z.b. im Wort und Mensch-Verlag Köln und im H W-Verlag Dorsten.

Kontakt

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Gea Runte
Am Wald 1
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